Text Ausstellung Burg Falkenstein - Frank Nitsche

Frank Nitsche Malerei Grafik
Frank Nitsche - Malerei Grafik
Direkt zum Seiteninhalt

Text Ausstellung Burg Falkenstein

Information
Einführung in die Ausstellung „Jenseits des Sichtbaren – Ansichten von Innen – Frank Nitsche – Malerei“ auf Burg Falkenstein
Stefanie Müller - Feiningergalerie Quedlinburg

Lieber Herr Schymalla, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
moderne, zeitgenössische Malerei hier auf der Burg Falkenstein in historischen Räumen zwischen Gebrauchsgegenständen vergangener Epochen zu präsentieren, ist doch ungewöhnlich. Da scheint es ins Konzept zu passen, wenn ein Vertreter der Lyonel-Feininger-Galerie in Quedlinburg an dieser Stelle eine Einführung in die Ausstellung gibt. Denn was hat nun Lyonel Feininger mit Frank Nitsche und der Burg Falkenstein zu tun? Auf den ersten Blick wohl nichts – mag man meinen. Doch so ungewöhnlich und fern diese Verbindung zunächst anmutet, ist sie gar nicht. Nicht nur, dass die Lyonel-Feininger-Galerie wie die Burg Falkenstein zur Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt zählt, auch in der Kunstauffassung Frank Nitsches zeigen sich Bezüge in die Klassische Moderne, in die Lyonel Feininger in der Kunstgeschichte ja bekanntlich verortet wird.
So wurde der 1958 in Eisleben geborene Nitsche in den 1970er Jahren während seines Studiums in Halle durch Paul Otto Knust zur Malerei angeregt. Knust selbst war Schüler des bekannten Malers, Grafikers und Kunsthandwerkers Charles Crodel, der in den 1920er und 1930er Jahren als Lehrer an der Burg Giebichenstein in Halle tätig war. Frank Nitsches künstlerische Prägung weist daher einen direkten Bezug zur Moderne der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – also in die Blütezeit von Burg Giebichenstein und Bauhaus, in die Zeit der Klassischen Moderne und die Zeit Feiningers – auf.
Den Prinzipien dieser neuen, revolutionären Kunsthochschulen folgend gab Knust die Grundlagen seiner Kunstauffassung – also das Naturstudium, die Komposition und das Arrangement von Farben und Formen – an seinen Schüler Nitsche weiter. In stark farbiger, flächiger Malerei widmet sich Frank Nitsche den Bildthemen Stillleben, Interieur, Natur- und Stadtlandschaften. In seinem jüngsten Bilderzyklus aus den Jahren 2011 und 2012 greift der Künstler alltägliche, gewöhnliche Situationen und Gegenstände auf. Anders als viele Werke er zeitgenössischen Malerei sind die Bilder Frank Nitsches nicht von monumentaler Größe. Das verhältnismäßig kleine Format erzeugt bisweilen einen intimen Charakter und kommt dadurch dem Bildgegenstand entgegen. Objekte wie Kannen, Flaschen und Schalen werden in den Werken Nitsches ebenso dargestellt wie Möbelstücke oder der Blick aus dem Fenster. Das scheint zu passen – mag man denken: Belanglose Bildmotive, kleine Formate. Doch durch das Arrangement dieser Gegenstände und ihre Farbigkeit erzeugt Frank Nitsche unerwartete, ungewöhnliche Ansichten auf diese im Alltag vielfach unbeachteten, gewöhnlichen Dinge. Er schafft es somit, über die anfängliche Unwichtigkeit der Objekte hinaus zu gehen und eine zweite, tiefere Bildebene zu erzeugen.
Das Gemälde „Chefsessel“ etwa ist hierfür ein eindrückliches Beispiel. Zu sehen ist ein breiter, mächtig ausladender Sessel in Frontalansicht. Trotz des grobflächig erscheinenden Farbauftrags sind deutliche Verschleißspuren am Polster des Sessels erkennbar. Durch die Ausblendung jeglicher Umgebung und den Einsatz der Farben entsteht der Eindruck eines trotzigen, sich durch die Zeiten hindurch behauptenden Möbelstücks, das zugleich Rückschlüsse auf seinen Besitzer zulässt. Wer in diesem Sessel Platz nimmt – so die erste Assoziation – kann sich durchsetzen, hat Format und legt offenbar Wert auf Dauerhaftes, Traditionelles, vielleicht sogar Konservatives. Und doch – der Lack ist ab, die Spuren der Jahre sind sichtbar, wie die Gebrauchsspuren deutlich zeigen. Hinter dem ersten Eindruck wird so eine zweite Ebene sichtbar, welche die anfänglichen Assoziationen in Frage stellt: Ist der Einfluss desjenigen, der in diesem Sessel thront nicht längst Geschichte und beharrt er nicht vielmehr auf diesem Stuhl, obwohl er ihn längst räumen sollte? Genau diese Fragen sind es, die Frank Nitsche zu erzeugen versucht, indem er Alltagsgegenstände und Alltagssituationen aus ihren gewohnten Kontexten herauslöst und somit anregt zum Nachdenken über den Kern, den Sinn und den Zweck dieser Bildgegenstände. Nitsche sieht nicht nur den Gegenstand, das Ding an sich, sondern ist bestrebt, sichtbar zu machen, was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist.
Doch nicht nur auf der Ebene jenseits des zunächst Offensichtlichen, auf der Ebene der Deutung, nähert sich Frank Nische seinen Motiven. Auch über die formale Herangehensweise, den Einsatz der Formen versucht er, das Innere seiner Bildgegenstände offen zu legen. Dabei zerlegt er das Bildmotiv in viele Einzelformen, die er in Beziehung zueinander setzt. Viele seiner Werke erfordern deshalb eine genaue Betrachtung und mehrmaliges Hinsehen, um das Dargestellte vollständig zu erfassen. Vor allem bei den Bildern mit maritimen und Landschaftsthemen wie beispielsweise im Werk „Segelboot im Hafen“ nimmt Nitsche eine Zergliederung der Flächen vor. Durch das Abtasten des Bildes mit den Augen kann der Betrachter zunächst das Boot auf der linken Bildseite identifizieren. Dadurch ist es ihm nun möglich, seinen Standpunkt auszuloten sowie Hafenbecken und Landschaft voneinander zu unterscheiden. Aus den vielen Einzelformen in unterschiedlichen Farben, die zunächst ungeordnet und nicht zusammengehörend erscheinen, fügt sich so langsam ein Ganzes zusammen. Das Bild entsteht quasi von Innen heraus: Die einzelne Form bildet den Kern, den Ausgangspunkt, viele Einzelformen setzten sich schließlich zum Ganzen zusammen und ergeben in ihrem Zusammenklang ein Bildmotiv.
Gewisse Parallelen zum Kubismus sind nicht von der Hand zu weisen. Diese Stilrichtung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte die moderne Malerei grundlegend und war auch für Lyonel Feiningers frühes malerisches Schaffen bedeutsam. Kennzeichnend sind die Veränderung des Bildgegenstandes in seiner gewohnten Perspektive und seine Zerlegung in einzelne Formen mit dem Ziel, den Bildgegenstand als „Ding an sich“ darzustellen. Bei Nitsche kommt zudem den Farben eine zentrale Bedeutung bei. Sie werden in einem oft langwierigen Prozess zueinander in Beziehung gesetzt. Ihre Zuordnung erfolgt ähnlich der Komposition eines Musikstückes, bis am Ende des Prozesses eine Harmonie, ein Klang entstanden ist.
Es bedarf der Sehleistung des Betrachters, aus dem zunächst diffus erscheinenden Formen- und Farbengewirr ein Ganzes zusammenzufügen. Ganz besonders deutlich wird dieser Zusammenklang von Formen und Farben bei Frank Nitsches Gemälde „Kirche im Harz“. Hier zeigt sich, wie sich aus einzelnen geometrischen Formen Sinnzusammenhänge ergeben und eine Komposition entsteht. Die einzelnen Formen ordnen sich schließlich zu Türmen, einem Portal und angedeuteter Umgebung. Aus Einzelelementen werden Formen, wie aus Atomen am Ende komplexe Gebilde und Objekte werden. Der Einsatz der Farbe hat daran entscheidenden Anteil. Sie wird eingesetzt, um die einzelnen Formenflächen in sich nochmals mit hellen und dunklen Partien abzusetzen und somit Schattenwurf und Perspektive zu verdeutlichen.
Und hier lässt sich wieder der Bogen schlagen zu Feininger, der vor allem auch in seiner Grafik bemüht war um die „letztgültige Form“, um dadurch das Wesen eines Objektes zu erfassen. Gerade in seinem Holzschnittwerk, das nahezu vollständig in der Lyonel-Feininger-Galerie vorhanden ist, experimentiert Feininger mit Formen und Perspektive, wird dabei wie auch Frank Nitsche aber niemals ungegenständlich. Ziel dieser künstlerischen Experimente Feiningers wie auch Nitsches ist es vielmehr, durch die ungewohnte Zuordnung der Bildmotive zueinander neue Blickwinkel auf das Dargestellte zu ermöglichen. Das Ergründen dieser neuen Bezüge und damit des Wesens der Dinge, ihres „Inneren“ und ihrer Bedeutung „Jenseits des Sichtbaren“ erfordert Mühe, Hingabe und Zeit. Und Ihre Zeit habe ich nun ausreichend in Anspruch genommen. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Erkunden der Werke! Vielen Dank!
Stefanie Müller
Lyonel-Feininger-Galerie Quedlinburg
Zurück zum Seiteninhalt